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isabellkrueger8

15.10.2022 - Geschichte und mehr / History and more


Damit Edo nach seiner Nachtschicht nicht zu lange warten muss, treffen wir uns um 08:15 Uhr am Jugendzentrum. Edo wirkt müde aber gut gelaunt. Mit seinem Auto fahren wir zum Abholort des Mietwagens am örtlichen Einkaufszentrum und trinken erstmal Kaffee. Kurze Zeit später erscheint der Mietwagenhändler, der einen sehr freundlichen Eindruck macht. Wir atmen durch. Gemeinsam mit Edo gehen wir den Vertrag durch, begutachten das Fahrzeug und bedanken uns für die großartige Hilfe. Wir steigen in einen Mini mit britischer Flagge auf dem Dach und freuen uns auf einen kleinen Roadtrip ins Landesinnere. Unser erstes Ziel ist Srebrenica, rund zweieinhalb Stunden südöstlich von Brčko. Die Straßenverhältnisse in Bosnien Herzegowina sind vergleichbar zu Deutschland, könnte schlimmer sein. Wir fahren durch Dörfer und Kleinstädte, vorbei an Seen und Flüssen und mitten durch die Berge. Landschaftlich muss sich Bosnien Herzegowina keinesfalls verstecken. Es gibt keinen großen Meerzugang wie im Nachbarland Kroatien, aber die Berglandschaften und grünblauen Seen sind atemberaubend. Je näher wir Srebrenica kommen, desto mulmiger wird uns - es ist einer jener Orte, der Gänsehaut verursacht. Trotzdem möchten wir Srebrenica besuchen, um mehr über die Geschehnisse aus dem Juli 1995 zu erfahren. Bosnien Herzegowina bietet so viel schönes, gleichzeitig aber auch eine dunkle Vergangenheit, die immer noch nachwirkt und ursächlich für die heutige Komplexität dieses Landes ist. Im Juli 1995 war Srebrenica eine UN-Schutzzone unter der Leitung von niederländischen Blauhelm-Soldaten, als bosnische Serben die Stadt eroberten. In der Folge ereigneten sich an verschiedenen Tatorten rund um Srebrenica Massaker, bei denen mehr als 8.000 Bosniaken – fast ausschließlich Männer und Jungen im Alter zwischen 11 und 78 Jahren – ermordet wurden. Besucht man heute die Gedenkstätte in Srebrenica, befindet sich auf der einen Seite der Straße ein riesiger Friedhof mit mehr als 8.000 Grabsteinen sowie eine Gedenktafel. Auf der anderen Seite befindet sich das Gelände des ehemaligen UN-Stützpunktes, indem 1995 tausende bosniakische Flüchtlinge aus den umliegenden Ortschaften wie Potočari Schutz suchten. Das Gelände ist heute ein riesiges Memorial Center, indem man einen tiefen Einblick in die Historie erhält sowie Berichte von Zeitzeugen hören kann. In erschreckenden Details erfahren wir vom Death March, dem Versuch von rund 15.000 Bosniaken über die Berge in freies Territorium zu fliehen – letztendlich hat nur ein Drittel überlebt. Schaut man sich die Gedenktafel genauer an, sieht man, dass ganze Familien männlicherseits ausgelöscht wurden. Wie andere Orte, die Schauplätze schrecklicher Verbrechen waren – sei es Ausschwitz oder die Killing Fields in Kambodscha – überkommt uns ein unbehagliches Gefühl. Eine bedrückende Stille liegt über diesem Ort, die Gebäude sind heruntergekommen und doch wird einem kalt bei dem Gedanken, dass diese Ereignisse nicht mal 30 Jahre zurückliegen. Nach zwei Stunden voller erschreckender Bilder, Zeitzeugenberichten und hilfreicher Informationen aus verschiedenen Blickwinkeln verlassen wir Srebrenica erschöpft und innerlich aufgewühlt ob der Eindrücke, die wir hier gesammelt haben. Trotzdem war es eine bewusste Entscheidung, diesen Ort zu besuchen. Wie will man ein Land verstehen, ohne seine Geschichte zu kennen – sei sie noch so niederschmetternd.

Am späten Nachmittag fahren wir wieder in Richtung Norden, biegen irgendwo im Nirgendwo links ab und erreichen Tuzla, mit rund 110.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt des Landes. Wir freuen uns auf die erste Nacht seit zwei Wochen in getrennten Zimmern. Als Wohngemeinschaft in Brčko wachsen Julia und ich jeden Tag ein bisschen enger zusammen und doch sind wir uns einig, dass ein wenig Privatsphäre auch mal guttut. Den Abend verbringen wir nach einem Spaziergang in unserem Apartment und gehen früh schlafen. Am nächsten Morgen müssen wir lachen, da wir beide unabhängig voneinander die volle Breite unserer Betten ausgenutzt haben. Sowas passiert eben nach zwei Wochen in einem Bett von 80cm Breite. Bei strahlendem Sonnenschein starten wir unsere Erkundungstour durch Tuzla. Die Stadt fühlt sich jung und lebendig an, es ist laut und die Cafés sind schon am Vormittag prall gefüllt. Genauso wie die Einheimischen genießen wir den ersten Kaffee des Tages auf dem großen Marktplatz und schlendern im Anschluss durch die kleinen Gassen. Vorbei an der Kapija, einer Gedenktafel zu Ehren der Opfer des Massakers vom Frühling 1995, bei dem 71 Menschen durch eine Artilleriegranate – eingeschlagen im Zentrum Tuzlas – gestorben sind. Weiter durch den Gradski Park landen wir an den Pannonica Salzseen, mitten im Stadtzentrum und mit weißem Kieselstrand. Ein Nebenprodukt des industriellen Salzabbaus hat Tuzla (vom türkischen Wort „tuz“ und bedeutet übersetzt „Salz“) diese Sehenswürdigkeit eingebracht, welches heute als DAS Naherholungsgebiet der Einheimischen gilt. Am späten Nachmittag fahren wir rund eine Stunde zurück nach Brčko, auf dem Weg nachhause ziehen wir ein durchweg positives Fazit von diesem Wochenende und freuen uns auf die nächsten Ausflüge.


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So that Edo doesn't have to wait too long after his night shift, we meet at 8:15am at the youth center. Edo seems tired but greets us with a smile. With his car we drive to the pick-up point of the rental car at the local shopping center and drink coffee first. A short time later the rental car dealer appears, who makes a very friendly impression. We take a deep breath. Together with Edo we go through the contract, inspect the vehicle and thank him for the great help. We get into a Mini with a British flag on the roof and look forward to a little road trip to south of Bosnia. Our first destination is Srebrenica, about two and a half hours southeast of Brčko. The road conditions in Bosnia Herzegovina are comparable to Germany, could be worse. We drive through villages and small towns, past lakes and rivers and right through the mountains. In terms of landscape, Bosnia Herzegovina does not have to hide at all. There is no big sea access like in neighboring Croatia, but the mountain landscapes and green-blue lakes are breathtaking. The closer we get to Srebrenica, the more queasy we feel - it's one of those places that gives you goosebumps. Nevertheless, we want to visit Srebrenica to learn more about what happened in July 1995. Bosnia Herzegovina offers so much beauty, but at the same time it has a dark past that still lingers and is causal for the complexity of this country today. In July 1995, Srebrenica was a UN protected zone led by Dutch Blue Helmet soldiers when Bosnian Serbs captured the town. Massacres subsequently occurred at various crime scenes around Srebrenica, killing more than 8,000 Bosniaks - almost exclusively men and boys between the ages of 11 and 78. If you visit the memorial site in Srebrenica today, on one side of the road is a huge cemetery with more than 8,000 gravestones and a memorial plaque. On the other side is the site of the former UN base, where thousands of Bosniak refugees from surrounding villages such as Potočari sought shelter in 1995. Today, the site is a huge memorial center, where you can get a deep insight into the history as well as hear reports from contemporary witnesses. In detail, we learn about the Death March, the attempt by some 15,000 Bosniaks to flee over the mountains into free territory - ultimately only a third survived. Looking more closely at the plaque, we see that entire families of males were wiped out. Like other places that have been the scene of horrific crimes - be it Auschwitz or the Killing Fields in Cambodia - an uneasy feeling comes over us. A depressing silence hangs over this place, the buildings are run down, and yet you get cold by thinking that these events happened less than 30 years ago. After two hours full of horrifying images, eyewitness accounts and helpful information from different perspectives, we leave Srebrenica exhausted and inwardly troubled by the impressions we have gathered here. Nevertheless, it was a conscious decision to visit this place. How can you understand a country without knowing its history - no matter how devastating it may be.

In the late afternoon we drive north again, turn left somewhere in the middle of nowhere and reach Tuzla, the third largest city in the country with about 110,000 inhabitants. We look forward to our first night in separate rooms in two weeks. As a shared apartment in Brčko, Julia and I grow a little closer together every day, and yet we agree that a little privacy is also good for us. After a little city walk we spend the evening in our apartment and go to bed early. The next morning we have to laugh because we both independently used the full width of our beds. This happens after two weeks in a bed of 80cm width. In bright sunshine we start our little sightseeing tour through Tuzla. The city feels young and lively, it is noisy and the cafes are already full in the morning. Just like the locals, we enjoy the first coffee of the day on the large market square and stroll through the small streets. We pass the Kapija, a memorial plaque in honor of the victims of the massacre in the spring of 1995, when 71 people died from an artillery shell that hit the center of Tuzla. Continuing through Gradski Park, we end up at the Pannonica Salt Lakes, right in the center of town and with a white pebble beach. A by-product of industrial salt mining has brought Tuzla (from the Turkish word "tuz" and translated means "salt") this sight, which today is considered THE recreational area for the locals. In the late afternoon we drive back to Brčko, on the way home we draw a thoroughly positive conclusion from this weekend and look forward to the next trips.

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